Kolostrum gewinnen - in der Schwangerschaft und nach der Geburt
(Quelle: Europäische Laktationsberaterinnen Allianz; Laktation&Stillen 1-2019;
www.elacta-magazine.eu)Bereits ab der Mitte der Schwangerschaft (etwa ab der 16. Schwangerschaftswoche) wird in der mütterlichen Brust die erste Muttermilch (Kolostrum) synthetisiert. In manchen Fällen, insbesondere bei Frauen mit Gestationsdiabetes sowie Diabetes mellitus Typ I und II, kann es sinnvoll sein, bereits am Ende der Schwangerschaft (ab der 37. Woche) kleine Mengen dieser wertvollen Substanz zu gewinnen, um sie als Sicherheitsreserve für die erste Zeit nach der Geburt aufzubewahren. Für andere Frauen ist es interessant, die Brustmassage und Handentleerung schon in der Schwangerschaft kennenzulernen, damit sie im Bedarfsfall nach der Geburt rasch das wertvolle Kolostrum bereitstellen können.
In jedem Fall braucht es für die Kolostrumgewinnung eine persönliche Anleitung durch eine geschulte Fachperson. Dieses Handout soll für Sie nur zur Gedankenstütze dienen.
Wie wichtig ausschliessliches Stillen ist, zeigen zahlreiche Studien. Kolostrum enthält wichtige Immunfaktoren, welche das Neugeborene vor Infektionen schützen. Es hilft ein gesundes Mikrobiom für die Reifung des Darmes aufzubauen. Kolostrum hat die optimale Zusammensetzung von Makro- und Mikronährstoffen, wirkt abführend und hilft so den zähen ersten Stuhl (Mekonium) abzusetzen und Bilirubin (den gelben Gallenfarbstoff) auszuscheiden. Vor allem stabilisiert Kolostrum den Blutzuckerspiegel des Babys. Frisches Kolostrum wirkt am besten. Sollte dieses nicht zeitgerecht zur Verfügung stehen, kann der in der Schwangerschaft angelegte und tiefgefrorene Vorrat genutzt werden und so die Fütterung von künstlicher Säuglingsnahrung vermieden werden.
Wann ist es sinnvoll, einen kleinen Kolostrumvorrat anzulegen?
- Bei Frauen mit Gestationsdiabetes oder Diabetes mellitus Typ 1 oder 2. Die Neugeborenen diabetischer Mütter haben ein erhöhtes Risiko, nach der Geburt eine Unterzuckerung zu entwickeln. Daher wird empfohlen, dass das Kind 30 Minuten nach der Geburt die erste Nahrung erhalten sollte. Viele Kinder sind zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht bereit zum Stillen. Daher sollte es Standard sein, diesen Neugeborenen per Hand entleertes frisches oder aufgetautes Kolostrum zu geben.
- Wenn bereits in der Schwangerschaft die Diagnose Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, Herzerkrankung, neurologische
Erkrankung oder vermindertes Wachstum gestellt wurde.
Eine vorsorgliche Kolostrumgewinnung ausserhalb dieser Indikationen ist eher kontraproduktiv und wird von uns NICHT empfohlen.
Wann ist es sinnvoll, die Kolostrumgewinnung bereits in der Schwangerschaft zu erlernen?
- Wenn bereits in der Schwangerschaft begründete Sorge um ausreichende Milchproduktion der Mutter besteht, z.B. bei hormonellen oder anatomischen Problemen, die die Milchbildung reduzieren könnten.
- Bei Mehrlingsgeburten
- Wenn in einer vorigen Stillzeit Schwierigkeiten mit der Milchbildung aufgetreten sind
Wann können Sie mit der Kolostrumgewinnung beginnen?
- Bei einer
unkomplizierten
Schwangerschaft ab der 37. Schwangerschaftswoche
- Bei drohender Frühgeburt, Mehrlingsgeburt oder geplantem Kaiserschnitt erst mit Geburtsbeginn oder frühestens zwei Tage vor dem Kaiserschnitt
- Wenn Sie in der Schwangerschaft kein Kolostrum gewonnen haben, können Sie dies direkt im Gebärsaal tun.
1. Und los geht’s!
Besprechen
Sie mit Ihrer Hebamme, Stillberaterin und Ihrer Entbindungsklinik den Wunsch, Kolostrum zu gewinnen und lassen Sie sich die Technik zeigen. Manche Kliniken haben genaue Vorschriften oder bieten eigenes Material für die Kolostrumgewinnung und -lagerung an.
2. Bereiten Sie das benötigte Material vor:
Zum Auffangen und Aufbewahren des Kolostrums haben sich Spritzen (1 ml, 2 ml oder 5 ml) mit passenden Verschlusskappen oder spezielle Kolostrumbehälter bewährt. Viele Kliniken stellen die Spritzen zur Verfügung, ansonsten können Sie diese in der Apotheke besorgen.
- Legen Sie Etiketten bereit, mit denen Sie jede Spritze und jedes Gefäss beschriften können. Im Tiefkühler sollten die Spritzen in einem passenden verschliessbaren Behälter oder einem Zippbeutel, ebenfalls mit Namen und Inhalt beschriftet, gelagert werden.
- Für den Transport zur Klinik sollte dieses Gefäss oder der Beutel zwischen zwei Tiefkühl-Akkus, am besten in einer kleinen Kühltasche, gelagert werden und bei Ankunft in der Klinik sofort in einen geeigneten Tiefkühlschrank gelegt werden.
Zum Auffangen und Aufbewahren des
Kolostrums bewähren sich Spritzen
mit passenden Verschlusskappen.
3. Gewinnung und Auffangen des Kolostrums:
- Nehmen Sie sich 1–3-mal täglich 10 bis 20 Minuten Zeit und waschen Sie sich vor dem Gewinnen des Kolostrums die Hände.
- Beginnen Sie mit einer angenehmen Brustmassage.
- Platzieren Sie Daumen und Zeigefinger/Mittelfinger einander gegenüber, jeweils ca. 2–3 cm von der Mamille (Brustwarze) entfernt. Heben Sie die Brust leicht an und führen Sie sie waagerecht Richtung Brustkorb, dehnen Sie dabei das Gewebe mit den Fingern leicht auseinander. Rollen Sie nun die Finger in einer Art „Melkvorgang“ nach vorne ab. Wichtig ist dabei, nicht auf der Haut zu „rutschen“. Entspannen Sie nun Ihre Finger und beginnen Sie dann erneut mit dem Vorgang.
- Nach einigen Wiederholungen können Sie die Position der Finger verändern (z.B. statt 12h und 6h nun 9h und 3h).
- Zu Beginn brauchen Sie vermutlich etwas Übung, bevor sich die ersten Tropfen zeigen.
Sollten Sie kein Kolostrum gewinnen können, lässt dies keinen Rückschluss auf den späteren Stillerfolg zu.
- Sie können die Kolostrumtropfen direkt nach dem Austreten an der Mamille (Brustwarze) mit einer Spritze aufziehen. Bitte verschließen Sie die Spritze anschliessend mit der Verschlusskappe.
- Beschriften Sie jede Spritze oder jedes Gefäss mit Namen und Gewinnungsdatum und frieren Sie das gewonnene Kolostrum sofort ein.
Foto: © Christiane Braumann
Falls Sie beim Gewinnen des Kolostrums zeitgleich ein schmerzhaftes Hartwerden des Bauches verspüren oder sich unwohl fühlen, beenden Sie den Vorgang – es sei denn, Sie befinden sich bereits im Gebärsaal und die Geburt steht bevor.
Bitten Sie um Unterstützung und lassen Sie sich von einer Fachkraft anleiten, um die Gewinnung von Hand zu erlernen. Still- und Laktationsberaterinnen IBCLC* und Ihre Hebamme sind sicherlich gerne behilflich.
Empfehlenswertes Video zur Anleitung:
Video des Global Health Media Project: „How to express breastmilk“ unter
https://globalhealthmedia.org/portfo- lio-items/how-to-express-breastmilk/
QUELLEN:
*IBCLC
Still- und Laktationsberaterinnen IBCLC (International Board Certified Lactation Consultants) sind die international anerkannten Spezialisten für Stillen und Laktation mit medizinischem Hintergrund.